Der heilige Benedikt

Mitten in einer Welt des Umbruchs lebte unser Ordensvater Benedikt von Nursia (480 – 547). Im Römischen Reich lösten sich damals staatliche Strukturen ebenso auf wie die Ideale klassischer Bildung. Eine Migrationsbewegung ungeahnten Ausmaßes – die Völkerwanderung – schuf eine neue Welt, die sich erst finden musste.

Benedikt von Nursia erlebte diesen Umbruch hautnah mit und nahm ihn als kulturelle und spirituelle Herausforderung an. Er ließ sich auf die neue Welt ein und nahm freigelassene Sklaven, Migranten (Goten) und römische Patriziersöhne gleichermaßen in seine Klöster auf. Bedingung war allein, dass einer wahrhaft Gott sucht.

Der neuen Welt begegnete er mit der Weite seines Herzens. Mit der „Stabilitas“, der Beständigkeit in der Gemeinschaft und am Ort, ließ er sich auf eine Welt ein, die aus den Fugen geraten war. Ihr bot er in seiner Mönchsregel mit dem Dreiklang von Gebet, Arbeit und Lesung neuen Halt. So wurde er der Vater des abendländischen Mönchtums und Patron Europas.

Die Orden sind meist nach ihrem Gründer oder dem Ort der ersten Klostergründung benannt. Die Benediktiner sind der heute in der katholischen Kirche älteste Orden, denn der Hl. Benedikt lebte schon am Ende des Altertums 480-547. Nachdem er sich aus dem Getriebe des späten Roms zurückgezogen und einige Jahre in der Einsamkeit gelebt hatte, gründete er in Subiaco erste kleine Klostergemeinschaften. Dann siedelte er auf den Montecassino über und gründete dort sein Hauptkloster. Um das Jahr 527schrieb er dort seine Klosterregel. Diese ist in den geistlichen Grundzügen bis heute gültig und auch für unser Leben prägend.  Nach der Zeit der frühen Einsiedler (Wüstenmönche)will Benedikt in seiner Epoche großer Völkerwanderungen, einen verlässlichen Lebensrahmen für die Suche nach Gott und das Leben in Gemeinschaft geben. So ist die Bindung an eine konkrete Gemeinschaft und an einen stabilen Ort bis heute ein Kennzeichen des benediktinischen Lebens.

Obwohl die Kirche keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, dass Benedikt von Nursia zu ihren ganz großen Heiligen zählt – ehrt sie ihn doch als Patriarch des abendländischen Mönchtums und als Patron Europas – , so ist seine Gestalt trotzdem nicht leicht zu fassen. Die Quellenlage zum Leben Benedikts erscheint dem Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts dürftig, und es bedarf des scharfen Auges, das in die Tiefe blickt, um die Konturen zu schauen.

Am Ausgang der christlichen Antike und an der Schwelle zum Mittelalter wird im Jahr 590 in Gregor dem Großen ein Mann zum Bischof von Rom gewählt, der größte Gegensätze in sich vereinigt und der uns – zwei Menschenalter nach Benedikts Tod – die einzigen biographischen Notizen über diesen vermittelt. Zeit seines Lebens litt Gregor an der ihm aufgeladenen Bürde und befand sich in einer steten Spannung zwischen aktivem und kontemplativen Leben. Trotz intensiven politischen Handelns blieb er immer auch Seelsorger. 

In solchem seelsorgerlichen Eifer entschloss sich der literarisch begabte Papst, seinen Landsleuten das Leben gottesfürchtiger Männer vor Augen zu stellen, um die ihm anvertraute Herde zur Nachahmung anzuregen. Die vier „Dialoge“ benannten Bücher, die Gregor um 593 verfasste, zeugen nicht nur von der großen Allgemeinbildung des heiligen Papstes, sondern vor allem auch von der Bildung seines Herzen, mit der er allenthalben die Hand Gottes im Leben der Menschen erkennt. Gregor geht es darum zu beweisen, dass auch in Italien fromme, gottesfürchtige Männer lebten, wie sie den Menschen seiner Zeit aus dem Orient und dem benachbarten Gallien bekannt waren. In Gesprächsform – einem in der Antike häufig gebrauchten literarischen Mittel – erzählt der Papst seinem Gesprächspartner Petrus von den heiligen Männern Italiens. Herzstück dieser Erzählungen ist das zweite der insgesamt vier Bücher, das Gregor einem einzigen – nämlich Benedikt – widmet, den er schon mit den ersten Worten einen „Mann von verehrungswürdigem Lebenswandel“ (Dial.II, Vorwort) nennt.

Dieses Buch ist die einzige Textquelle, die vom Leben Benedikts berichtet. Gregor selbst hat Benedikt nicht gekannt, sondern stützte sich auf vier Gewährsmänner, einstige Schüler des Mönchsvaters. Papst Gregor erzählt also Erzähltes. An das Werk des Kirchenvaters dürfen deshalb nicht die Maßstäbe historisch-kritischer Wissenschaft angelegt werden. Er will in seinen Dialogen von Gott reden, der sich groß zeigt in seinen Heiligen; allein darauf kommt es ihm an. Aber bei intensiver Beschäftigung mit dem Text können doch einige Daten, Ortsangaben und Personen, die auch durch andere Quellen belegt sind, festgemacht werden. Gregor hat seine Dialoge in der literarischen Form der Legende verfasst. Daraus können Begebenheiten herausgelöst werden, die sich tatsächlich ereignet haben, zeigen sich doch in einer Legende wesentliche Charakterzüge eines Menschen in verdichteter Form. In ihr wird der Wahrheitskern von Begebenheiten entfaltet und gedeutet; er tritt so deutlicher ans Licht, als es bei Urkunden und Annalen möglich ist. Auf der Suche nach dem Portrait Benedikts zeigt sich mehr und mehr sein eigenes Werk als Schlüssel zu seiner Person. Manche Begebenheit aus den Dialogen wird erst durch die Mönchsregel verständlich, wie andererseits manches Regelwort mit Hilfe der Dialoge lebendiger wird, sagt Gregor doch seltsam am Ende seines Berichtes über Benedikt:

…Inmitten der vielen Wunder, durch die der Mann Gottes in der Welt glänzte, leuchtete er auch ganz besonders durch das Wort seiner Lehre hervor. Denn er hat eine Regel für Mönche verfasst, einzigartig in weiser Mäßigung, lichtvoll in ihrer Darstellung.
Wer sein Leben und seinen Wandel genauer kennen lernen will, der findet in den Vorschriften der Regel alles, was er als Lehrmeister vorgelebt hat. Denn der Heilige konnte nicht anders lehren, als er lebte. (Dial. II,36)

Wird in diese Vorbemerkung, die den Blick auf die beiden Hauptquellen, die Dialoge des Papstes Gregor und die Regel des Gottesmannes selbst, gelenkt haben, noch das zeitliche wie kulturelle Umfeld einbezogen, so lässt sich dann doch ein abgerundetes Bild vom Leben des Mönchsvaters zeichnen. 


Nursia und Rom

Benedictus entstammte einer angesehenen Familie in der Provinz, in Nursia, und wurde zum Studium der Literatur nach Rom gegeben. (Dial. II, Vorwort)

Nursia, das heutige Norcia, war im fünften Jahrhundert als Municipium der Provinz Valeria bedeutender als heute und hatte wahrscheinlich einen eigenen Bischof. Die Stadt Nursia liegt nicht gerade in einer besonders begünstigten Klimazone Italiens. Ihre Einwohner lebten damals von Viehzucht und Ackerbau und dem, was die ausgedehnten Wälder des Berglandes schenkten. Benedikts Eltern gehören vermutlich zum dortigen Landadel und waren so gebildet und wohlhabend, dass es dem Sohn möglich war, zum Studium nach Rom zu gehen.

Alles, was wir von Benedikt wissen, lässt darauf schließen, dass er ein Mensch war, der offenen Auges durch die Welt ging, und so dürfen wir annehmen, dass er zweierlei Besonderheiten aus dem Land und der Zeit seiner Kindheit mitnahm: Umherschweifende Gotenzüge plünderten auch das kleine Nursia und ließen wohl schon in dem Knaben Friede, Gerechtigkeit und gesichertes Leben an einem Ort als Werte erscheinen, für die es sich einzusetzen lohnt. Andererseits aber wird die Eremitensiedlung, die es unweit von Benedikts Heimatstädtchen gab, bereits das Kind mit einer Lebensmöglichkeit konfrontiert haben, die anders war als die seiner Väter, die aber doch mit dem in Einklang zu bringen war, was der Junge als Kirche kennen gelernt hatte. Auch daran darf kaum gezweifelt werden, dass Benedikt in Nursia getauft wurde und sich ihm so das Tor zum kirchlichen Leben eröffnete.
Ein Letztes muss noch festgestellt werden, ehe wir Benedikt auf seinem Weg nach Rom begleiten: Im Haus seiner Eltern hat der spätere Mönchsvater selbst zuerst die Liebe einer Mutter und die Fürsorge eines Vaters kennen gelernt. Gerade dies wird später eines der wesentlich- sten Elemente seiner Klosterregel ausmachen. Von daher kommt die Sensibilität für „die Mahnungen des gütigen Vaters“ (RB Prol. 1)

Die Tradition nennt das Jahr 480 als Geburtsjahr des heiligen Benedikt und seiner Schwester Scholastika. Wenn wir an diesem Datum festhalten, dann wird Benedikt an der Wende vom fünften zum sechsten Jahrhundert seinen Heimatort verlassen und sich nach Rom gewandt haben, um dort zu studieren. Hatte der junge Mann in den plündernden Goten und durch Nachrichten, die in das Sabinerland gedrungen waren, schon eine Ahnung, dass die Welt aus den Fugen geraten war, so musste er jetzt in Rom selbst alle Haltlosigkeit und Dekadenz der Zeit erleben. Das einst so mächtige römische Reich war am Zusammenbrechen. Bereits zu Beginn des fünften Jahrhunderts waren die Westgoten plündernd durch Italien gezogen, hatten 410 unter Alarich Rom eingenommen und waren schließlich weiter nach Südgallien und Spanien gekommen.

Nach der Ermordung von Kaiser Valentinian III (455) war der Untergang des Imperium Romanum endgültig besiegelt. Odoaker, ein germanischer Söldnerführer, nutzte die kaiserlose Zeit und machte sich 476 selbst zum König von Italien, bis er seinerseits von Theoderich, dem Führer der Ostgoten gestürzt wurde. Der starke Theoderich setzte sich auf den römischen Thron, und so kehrte in politischer Hinsicht für einige Jahrzehnte Ruhe ein.

Mit den Goten flammte dann die Kirchenspaltung neu auf, da unter ihnen der Arianismus in Italien eine Nachblüte erlebte. Zwar hatte das Konzil von Nicäa 325 Arius als Irrlehrer verurteilt, doch kursierte seine Lehre noch lange in der Kirche. Die etwas ruhigeren Jahre unter Theoderich brachten schließlich eine neue Gier nach Luxus und Wohlleben in die Stadt Rom und verschonten damit auch den Klerus nicht. In der Zeit, da Benedikt nach Rom zog, kam es im Jahre 498 zu einer Doppelwahl des römischen Bischofs, was einen Kampf der Parteien mit sich brachte, der einen jungen Menschen nicht gerade für die Kirche begeistern konnte. Benedikt war von der Stadt, der Kirche, von den Schulen enttäuscht. Er wandte sich ab und verließ die Großstadt, die ihm das Tor zum Leben nicht hatte auftun können.

Subiaco

Benedictus war also entschlossen, das Studium aufzugeben und die Einsamkeit aufzusuchen. Nur seine Amme zog mit ihm, die sehr an ihm hing. Sie kamen zu einem Ort, der Enfide hieß. Dort nahmen ihn viele geachtete Männer mit Liebe auf, und die beiden fanden eine Unterkunft auf dem Kirchengelände von St. Peter (Dial. II,1)

Obwohl der junge Benedikt schon bald den römischen Lehrern den Rücken gekehrt hatte, war der Aufenthalt in der Hauptstadt für ihn doch ein Gewinn: Ihm war klar geworden, dass der Sinn des Lebens nicht in Reichtum oder Macht – sei sie kirchlicher oder politischer Art – besteht. Benedikt schloss sich zunächst in Enfide (Affile) im südlichen Latium einer Asketengemeinschaft an. Unversehens geriet er, der der Großstadt entflohen war, durch ein Wunder in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. So sah er keine andere Möglichkeit, als auch von diesem Ort zu fliehen. Er tat es heimlich, ließ mit der Amme und der dortigen Asketengemeinschaft den Kontakt zu seiner Familie wie auch zum kirchlichen Leben zurück und fand eine neue Bleibe nicht weit von Enfide in einer nur schwer zugänglichen Felsenhöhle bei Subiaco.

Dieser Rückzug aus der menschlichen Gesellschaft war in dieser Zeit keine Ausnahmeerscheinung, da das Anachoretentum (Einsiedlertum) des Orients längst auch in Gallien und Italien verbreitet war. Dennoch war die Lebensform, die Benedikt wählte, besonders radikal, denn andere Asketen bildeten oft eine lose Gemeinschaft, während Gregor nur einen einzigen Mönch namens Romanus nennt, von dem Benedikt die Einführung in das Mönchsleben erhielt.

In dieser Einsamkeit aber, fernab von den Menschen, fernab vom Leben der Kirche, ereignete sich das wohl entscheidende Erlebnis im Leben Benedikts. Hier in der Höhle von Subiaco traf ihn wieder der Anruf Gottes. Der rigorose Asket hatte sich in seiner Abgeschiedenheit so sehr vom kirchlichen Lebensrhythmus entfernt, dass er sogar das Osterfest nicht wahrnahm.

Huldvoll erschien der Herr im Traumgesicht einem Priester, der etwas weiter weg wohnte. Dieser hatte sich auf Ostern ein Mahl bereitet. Der Herr sagte zu ihm: „Du machst dir ein Festmahl, und mein Diener da draußen vergeht vor Hunger.“ Der Mann erhob sich sogleich und machte sich am Osterfest selber mit den Speisen, die er für sich hergerichtet hatte, auf den Weg zur bezeichneten Stelle. In steilen Schluchten, an Hängen und auf schwierigen Wegen suchte er den Mann Gottes und fand ihn zuletzt in seiner Grotte verborgen. (Dial. II,1)

In der Begegnung mit dem Priester erfährt der spätere Mönchsvater Ostern: „Ja, heute ist für mich Ostern, weil ich das Glück hatte, dich zu treffen.“ (Dial. II,1). Dabei lernte Benedikt, dass der einzige angemessene Ort für die Gottsuche die Kirche ist und dass getrennt von der Kirche Christsein nicht gelebt werden kann. Auch Anachoretentum kann nur dann Frucht bringen, wenn es eingebunden bleibt in die Kirche, in den Leib Christi.

Was an jenem Ostermorgen geschah, ist so groß, dass es – wie kein anderes Ereignis im Leben des Heiligen – Niederschlag in der Mönchsregel gefunden hat. Ostern ist das zentrale Fest im Leben nach der Regel, eine Fastenzeit ist das Leben der Mönche hin auf dem Weg zu jenem Osterfest, das kein Ende mehr kennt.

Der Priester hatte mit Benedikt gebetet und gegessen. Gemeinsames Gebet und gemeinsames Mahl werden die Struktur für den Tagesablauf in der Regel bestimmen. Von diesem Osterfest an war das Leben des einsamen Gottsuchers verändert. Aber Benedikt musste erfahren, dass ein Leben in der Verbindung mit Christus stets auch Teilhabe an seinem Kampf gegen das Böse ist. Nur in solcher Sicht kann jene Begebenheit verstanden werden, von der Papst Gregor berichtet: Benedikt erinnerte sich an frühere Bindungen. Die Liebe zu einer Frau, die er einmal gesehen hatte, wurde wieder lebendig. In sich selbst musste Benedikt einen schmerzvollen Kampf bestehen, aus dem er geläutert hervorging. Fortan galt für ihn „Der Liebe zu Christus nichts vorziehen“ (RB 4,21). Nachdem Benedikt diese Versuchung überstanden hatte und in ihr gereift war, waren auch die Voraussetzungen gegeben, anderen väterlicher Helfer zu sein auf der Suche nach Gott und im Erlernen der Liebe zu Christus.

Häufig kamen jetzt rat- und hilfesuchende Menschen zu dem jungen Eremiten. Zunächst waren es die Hirten und Bauern, denen er das Evangelium erklärte, bis sich schließlich sein Ruf verbreitete und die Asketengemeinschaft von Vicovaro bat, ihn als Abt vorzustehen. Da Benedikts Vorstellungen der dortigen Gemeinschaft widersprachen, kam es bald zu schweren Zerwürfnissen, und Benedikt entschloss sich, in seine geliebte Einsamkeit zurückzukehren. Dort sammelten sich in dieser Zeit erste Schüler um ihn. Für sie baute und organisierte er in Subiaco mehrere kleinere Klöster, die alle unter seiner Oberleitung standen. Männer verschiedenster Herkunft und Bildung schlossen sich dem Mönchsvater an, was manche Schwierigkeiten mit sich bringen mochte. Benedikt aber gelang es stets aufs neue, Einheit zu schaffen, den guten Eifer zu wecken, die Blindheit der Herzen zu heilen und Angriffe des Bösen zu entlarven und zu überwinden.

Nur wenige der ersten Mönche, die unter Benedikts Leitung standen, sind uns durch die Dialoge Gregors bekannt. Maurus und Placidus stehen stellvertretend für viele. An ihnen wird deutlich, dass in einer vom Evangelium geprägten Gemeinschaft Menschen unterschiedlichen Charakters und verschiedener Begabung einmütig miteinander leben können.

Bei der Betrachtung des Lebens in Subiaco zeigt der Seelsorger Gregor auch, was die Macht des Gebets bewirkt. Er zeichnet Benedikt als einen Mann des Gebets, der alles, was ihn bewegt, vor Gott trägt.

Von Benedikt, dem Gesegneten, ging Segen aus. Das erregte den Neid und Missgunst, so dass der Mönchsvater einmal den liebgewordenen Ort verlassen musste.

Die Liebe zum Vater unseres Herrn Jesus Christus griff in jener Gegend weit und breit wie eine Feuersglut um sich. Viele gaben das Leben in der Welt auf und beugten ihres Herzens Nacken unter das sanfte Joch des Erlösers. Da begann der Priester einer benachbarten Kirche, Florentinus (…), vom boshaften Erbfeind aufgestachelt, aus Eifersucht das Auftreten des heiligen Mannes mit neidvollen Augen zu betrachten. (Dial. II,8)

Der Priester Florentinus versuchte zunächst durch üble Nachrede, dann durch ein vergiftetes Brot, den Segensstrom, der von Benedikt ausging, zum Stillstand zu bringen. Als beide Versuche missglückten, ging er so weit, dass er junge Frauen zum Kloster brachte, die dort ihre Körper zur Schau stellten, um – wenn nicht Benedikt – so doch wenigstens seine Jünger in Verwirrung und zu Fall zu bringen. Benedikt war in Sorge um seine Brüder, obwohl er wusste, dass der Angriff ihm galt. In dieser Erkenntnis folgte er wieder dem Ruf Gottes. Er machte sich noch einmal auf den Weg und löste sich erneut von allem, um sich noch enger an Christus zu binden. Auch der Tod des Priesters, der äußere Anlass für das Fortgehen war, konnte ihn nicht zur Rückkehr bewegen. Die einzelnen Klöster in Subiaco vertraute er von ihm eingesetzten geistlichen Vätern an und zog selbst mit einigen wenigen Mönchen in südlichere Richtung auf den Monte Cassino. 


Monte Cassino

Bereits in vorchristlicher Zeit war der Monte Cassino zwischen Rom und Neapel Ort eines heidnischen Heiligtums. Obwohl bereits zweihundert Jahre vergangen waren, seitdem der erste römische Kaiser, Konstantin, sich zum Christentum bekehrt hatte, stand auf dem Berg, den Benedikt sich als den Ort neuen Beginns erwählte, noch immer das Heiligtum einer heidnischen Gottheit. Die Überlieferung nennt das Jahr 529 als Zeitpunkt für den Anfang benediktinischen Lebens auf dem Monte Cassino. Es ist das Jahr, in dem die platonische Akademie in Athen – die Hochschule der Antike – ihre Pforten schloss. „Als der heilige Mann fortzog, wechselte er zwar den Wohnsitz, nicht aber den Feind“ (Dial. II, 8), sagt Papst Gregor gleich in einer Überschrift, ehe er zu erzählen beginnt, was der Gottesmann auf dem neuen und für seinen Lebensweg letzten Ort alles erlebte.

Von Anfang an ist es ein Kampf wider den Bösen, den Benedikt führt, und je mehr er kämpft, um so mehr wird er zum Mann des Gebets, wird er zum Mann Gottes, zum Gesegneten, der dort auf Gottes Hilfe baut, wo sich andere auf eigene Kräfte verlassen, der segnet, wo andere fluchen. Als erstes riss der Abt von Monte Cassino die alten Kultstätten nieder, baute zwei Oratorien und weihte das eine Johannes dem Täufer, das andere Martin von Tours. Er wusste aber auch, dass es damit nicht getan ist, und begann, den Menschen der Umgegend Christus zu predigen. Was in Subiaco bereits begonnen worden war, setzte Benedikt in Monte Cassino fort und gab seinen Söhnen und Töchtern durch die Jahrhunderte das Beispiel der Missionierung in jener fruchtbaren Verbindung von Wort und Tat.

Solches Tun des hl. Benedikt veranlasste den Widersacher zu erneuten Angriffen, „Die der Feind aus eigenem Antrieb begann, durch die er aber entgegen seiner Absicht jenem Gelegenheit zu Siegen gab“ (Dial. II, 8). Schwierigkeiten zeigten sich beim Bau des Klosters. Der Versuch, einen Felsblock wegzurücken, hemmte die Bauarbeit. Benedikt fand eine Lösung, durch die der gewaltige Stein aus dem Weg geräumt werden konnte. Die Mönche, Bauherrenstolz im Herzen, errichteten Mauern, die wieder zusammenbrachen und einen jungen Bruder unter sich begruben. Benedikt wandte sich betend an Gott, um den unter den Trümmern verschütteten Jungen zu heilen und ihn wieder zu den arbeitenden Brüdern zurücksenden zu können. Vom bösen Feind getäuscht, sahen die Brüder eine Feuersbrunst, wo lediglich einige Funken sprühten. Da öffnete Benedikt seinen Söhnen die Augen und befreite sie von jener ängstlichen Nervosität, die vergessen lässt, dass es der Herr ist, der das Haus baut.

Nachdem der äußere Aufbau trotz vieler Widerstände mit Gottes Hilfe doch gelungen war und Benedikt daran ging, seine zunächst kleine, aber ständig wachsende Gemeinde zu festigen, verlegte auch der Böse seine Anschläge auf die Mönche und stiftete Verwirrung, wo immer es ihm möglich erschien. Das Auge des Mönchsvaters erkannte, wo Gefahr drohen konnte und wies die Seinen bereits da zurecht, wo das Laster seinen Anfang nahm.

So sehr Benedikt sich auch zuerst um seine Brüder kümmerte, wusste er sich doch auch verantwortlich für die Menschen, die in der Umgebung des Klosters wohnten. Er sorgte sich unter anderem um Gemeinschaften von Frauen und veranlasste, „dass regelmäßig Brüder zu ihnen gingen zu Zuspruch und Erbauung“ (Dial. II, 19). Ähnlich half Benedikt vielen Menschen in geistlicher wie materieller Not. In Zeiten des Hungers und der Missernte wusste er Hilfe durch kluge Wirtschaft, verstand so Getreide und Öl zu teilen, dass niemand hungern musste, aber auch niemand im Überfluss lebte. Immer wieder predigte er denen, die Christus nicht kannten, tröstete jene, die den Tod eines lieben Menschen beklagten, und heilte, wenn menschliche Heilkunst versagte und nur noch die Kraft des Gebetes helfen konnte. In jener Furcht, die der Anfang der Weisheit ist, erzitterte er auch nicht vor dem gewaltigen König Totila, dem er ohne Hemmungen seine Untaten vorwarf und sein Ende vorhersagte.
Insgesamt zeichnet der hl. Gregor in dem Teil seiner Bendiktsvita über die Jahre in Monte Cassino das Bild eines Abtes, wie der Autor der Regel selbst ihn sich vorstellt. Er ist der treusorgende Hirt der ihm anvertrauten Herde, der weise Lehrer, der „alles Gute und Heilige mehr durch Taten, als durch Worte“ (RB 2,12) zeigt. Er ist der gütige Vater, welcher „Barmherzigkeit vor Recht“ (RB 64,10) übt und allen seinen Söhnen „gleiche Liebe“ (RB 2,22) entgegenbringt.

Die liebende Sorge des Hirten, Lehrers und Vaters ließ Benedikt die Regel, jene die Jahrhunderte überdauernde und bis heute nicht veraltete Lebensordnung, schreiben. Die reiche Erfahrung eines Mannes mit allzeit offenen Augen und hörendem Herzen vereinigt sich darum zu einem ganzheitlichen Entwurf. In seiner Jugend in Nursia und Rom, in den Jahren des Suchens in Enfide, in Vicovaro, in den Jahren äbtlichen Dienstes in Subiaco und zuletzt in Monte Cassino hatte Benedikt manche Lebensformen erleben und erproben können. Aus der Fülle dessen, was er kennen gelernt hatte, hob er am Abend seines Lebens die Schätze, die ihm wertvoll genug erschienen, weitergegeben zu werden. Er verband sie mit dem, was er selbst im täglichen Miteinander und im steten Nachsinnen über das Wort der Heiligen Schrift gelernt hatte, zu der Regel, die Gregor der Große als „einzigartig in weiser Mäßigung, lichtvoll in ihrer Darstellung“ (Dial. II,36) charakterisiert. Obwohl zunächst konkret für Monte Cassino geschrieben, ist der Regel doch eine Allgemeingültigkeit eigen, die von der Herzensweite ihres Verfassers ein beredtes Zeugnis gibt. 


Weite des Herzens

Auch als Herr und Vater der klösterlichen Gemeinschaft in Monte Cassino wusste sich der hl. Benedikt gemeinsam mit seinen Brüdern in Christus, dem eigentlichen Herrn und Vater des Klosters, unterstellt. Er, dem seine Mönche Gehorsam leisteten, blieb selbst immer das Vorbild des Gehorsams, der Mann mit dem hörenden Ohr, der es nicht unterließ, nach der Weisung des Herrn zu fragen und sie in der Tat zu erfüllen. Diese Haltung Benedikts deutet Papst Gregor ohne Unterlass in jedem Abschnitt des zweiten Buches der Dialoge an: Benedikt ist vor allem der Mann des Gebetes, der sich stets neu an den Herrn wendet, um neue Weisung zu vernehmen. In dieser Haltung des betenden Hinhörens war Benedikt dann auch bereit, sich in seinem Alter noch einmal korrigieren zu lassen. Es wurde ihm aber auch geschenkt, einen Blick in die innersten Zusammenhänge der Welt zu tun und so mehr von der Größe ihres Schöpfers zu erahnen, als dies Menschen sonst zuteil werden mag. Obwohl Benedikt sich nach dem Verlassen der Asketengemeinschaft in Enfide auch von seiner Familie getrennt hatte, begegnet uns am Ende seines Lebens seine Schwester Scholastika in der Nähe des Klosters. Von der letzten dieser Begegnungen berichtet uns Gregor:

Einmal kam sie wie sonst, und ihr ehrwürdiger Bruder stieg in Begleitung von Jüngern zu ihr herab. Diesen Tag verbrachten sie im Lob Gottes und in heiligen Gesprächen. Bei Einbruch der Dämmerung nahmen sie gemeinsam Speise zu sich. Als sie noch bei Tisch saßen und es über den geistlichen Gesprächen recht spät geworden war, kam diese gottgeweihte Frau, seine Schwester, mit einer Bitte. Sie sagte zu ihm: „Ich bitte dich, mich heute nacht nicht allein zu lassen. Dann können wir uns bis zum Morgen über die Wonnen des himmlischen Lebens unterhalten.“ Er aber erwiderte: „Was sagst du da, liebe Schwester?“ Ich kann unmöglich außerhalb des Klosters übernachten.“ (Dial. II,33)

Wie einst die Begegnung an jenem Ostermorgen mit dem Priester von Gesprächen, vom Gebet und von gemeinsamen Mahl bestimmt war, so prägen auch jetzt diese Elemente das Zusammensein Benedikts mit seiner Schwester. Hatte Benedikt damals in der Höhle bei Subiaco die Grundstrukturen christlichen Lebens kennen gelernt, so wird er hier noch einmal in die Schule genommen. Er hatte seiner Brüdergemeinschaft eine Lebensordnung gegeben, und die verlangte, dass keiner unnötig außerhalb des Klosters übernachte. Jetzt am späten Abend bat ihn seine Schwester, die Regel hintanzustellen und bei ihr zu bleiben. Benedikt schlug dieses Ansinnen aus. Scholastika aber, einzig von der Liebe bewegt, wandte sich, von ihrem Bruder abgewiesen, an Gott, und dieser erhörte ihre Bitte. Im Nu verfinstere sich der bis dahin heitere Himmel, wolkenbruchartige Regengüsse gingen nieder, und Benedikt war es unmöglich, in sein Kloster zurückzukehren. Vorwurfsvoll wandte er sich an Scholastika:

„Der Allmächtige Gott sei dir gnädig, Schwester, was hast du getan?“ Sie erwiderte: „Ach, ich tat eine Bitte an dich, aber du wolltest nicht auf mich hören. Da habe ich meinen Herrn darum gebeten, der hat auf mich gehört. Nun, geh du nur hinaus, wenn du kannst, lass mich allein zurück, und geh du zu deinem Kloster zurück!“ (Dial. II,33)

Die heitere Ironie in den Worten Scholastikas ist nicht zu überhören. Wie einst der Priester am Ostermorgen auserwähltes Werkzeug Gottes war, so wurde jetzt Scholastika für den Bruder zum Werkzeug Gottes, um ihm zu zeigen, dass seine Regel nicht letztes Gesetz ist, sondern dem Gebot der Liebe unterstellt bleibt. Scholastika vermochte in jener Stunde mehr als ihr Bruder, weil sie einzig von der Liebe bewegt war.

Kein Wunder, dass er in diesem Moment weniger vermocht hat als jene Frau, die sich so lange danach gesehnt hatte, den Bruder zu sehen. Denn nach dem Johanneswort: „Gott ist die Liebe“, hat nach gerechtem Urteil jene mehr vermocht, die inniger liebte. (Dial. II,33)

Wenige Tage nach diesem Ereignis, da die Schülerin zur Lehrerin für ihren Bruder geworden war, starb Scholastika. Der Tod der Schwester war Benedikt gewiss Mahnung an das eigene Ende und ließ zugleich die Sehnsucht nach dem Himmel größer werden, dem er sich in den Stunden des Gebets am nächsten wusste. Von einer solchen Gebetsstunde im Schweigen der Nacht berichtet Papst Gregor:

Während die Brüder noch schliefen, stand der Mann Gottes Benedictus … am Fenster und betete zum allmächtigen Herrn. Plötzlich …, sah er, wie ein aus der Höhe niederfahrendes Licht das nächtliche Dunkel gänzlich vertrieb und so intensiv aufleuchtete, dass dieses Licht, inmitten der Finsternis aufstrahlend, das Licht des Tages übertraf. Aber in dieser Vision folgte noch etwas anderes, ganz Wunderbares: die gesamte Welt – das erzählte er selber später – wurde ihm darüber hinaus in einem einzigen Sonnenstrahl zusammengefasst vor Augen geführt. (Dial. II, 35)

Bereits als junger Mann, da Benedikt vom heimatlichen Nursia aufbrach, war er ein Suchender. Gottsuche das Thema und der Inhalt seines Lebens. Als sein Heimgang näher rückte, wurde ihm geschenkt, die zukünftige Herrlichkeit zu schauen. In einer nächtlichen Vision wurde ihm die Welt im Licht des Schöpfers gezeigt. Für eine Seele, die ihren Schöpfer schaut, ist alle Kreatur beschränkt. Mag sie auch nur ein ganz klein wenig vom Licht ihres Schöpfers schauen, so wird alles Geschaffene klein … Der Ausdruck. „Die Welt wurde vor seinen Augen in eins zusammengefasst“ bedeutet nicht, dass Himmel und Erde sich verkleinerten, sondern dass sich des Sehers Seele weitete. Sie war in Gott entrückt und sah darum ohne Mühe in einer Zusammenschau, was niedriger als Gott ist. (Dial. II,35)

Benedikt, der immer in der Gegenwart Gottes wandelte und die Ankunft des Herrn erwartete, ahnte die nahe Stunde seines Heimgangs. Er ließ sich sein Grab bereiten und sich von seinen Jüngern in das Oratorium tragen, wo er, der Mann des Gebetes, die Hände zum Himmel erhoben, sein Leben Gott zurückgab. Der Todestag Benedikts, der 21. März, gilt seit der Wende vom siebten zum achten Jahrhundert als bezeugt. Als Todesjahr nennt die Tradition das Jahr 547. Der Leichnam des Mönchsvaters wurde in dem von ihm errichteten Oratorium Johannes des Täufers bestattet. Über den Tod hinaus bleibt der hl. Benedikt mit seiner Regel bis heute lebendig als bewährter Helfer auf der Suche nach Gott. Wie der Täufer weist der Mönchsvater von sich weg auf den Größeren, dem er die Wege bereitete. Demütig stellt er sich in die Reihe der Brüder und sagt ihnen damals wie heute: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt und der nach mir kommt; ich bin nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren“ (Joh 1,26f.)

Abt Barnabas Bögle OSB, Ettal